Freitag, 11. Oktober 2002

Mäuseklavier: Eine erste Fahrt mit dem neuen Suzuki AN 650 Burgman

Scherzfrage vorab: Woran erkennt man den Fahrer eines Suzuki Burgman 650? Antwort: Am muskulösen linken Daumen! Unter nicht weniger als acht Schaltern kann (beziehungsweise muss) der Fahrer eines AN 650 backbord wählen. Neben den für Rollern dieser Größe üblichen Schaltern für Abblend- und Fernlicht, Blinker, Hupe und Lichthupe hat der Kapitän des Suzuki-Dickschiffs noch die Qual der Wahl zwischen dem Power-Mode, dem Umschalter zwischen Voll- und Halbautomatik sowie den Gangwählschaltern. Auf so einem Mäuseklavier kann man sich anfangs schon mal ein wenig verklimpern. Hingucken geht nicht immer, zumal wenn der Tacho sich an die 180 km/h annähert. Also zunächst mal langsam die ersten Kilometer in das Fahrzeug reinfühlen und dann Gas geben.

Hat der derzeit Größte und Stärkste wirklich soviel Power, wie es die Werbung verspricht und die Tests behaupten? Hat er! Bei 183 angezeigten Stundenkilometern habe ich genug vom Geschwindigkeitstest. Wer wie ich ausschließlich Roller fährt, der glaubt, bald abzuheben. Nicht, weil das Gefährt instabil wird und auch nicht weil der Lärm hinter der Scheibe unerträglich wird. Aber mit den Leistungsmerkmalen ragt der große Burgman schon in Motorraddimensionen hinein.

Ursprünglich waren Motorroller als günstiges Fortbewegungsmittel konzipiert worden, mit dem man bequem fahren kann, ohne sich bei schlechtem Wetter wie auf einem Motorrad einzusauen. Ach ja, und Wendigkeit war auch einmal ein Charakteristikum des Motorrollers. Diese Grundmerkmale treffen auf den AN 650 nur noch teilweise zu.

Für den Anschaffungspreis eines Kleinwagens bekommt man einen Großroller, der diesen Namen verdient. Platz ist satt auf und in dem Gefährt. Hier haben auch große Personen Platz für die Extremitäten. Und diverse Fächer bieten Stauraum satt. Unter den Rollern ähnlich handlich wie die Goldwing unter den Motorrädern, erledigt man seine Besorgungen im dichten Stadtverkehr besser mit dem Fahrrad oder dem Fuffi. Was ein Wendekreis ist, begreift man beim Rangieren mit diesem Großen sehr anschaulich. Auf großer Fahrt bietet der Suzuki hingegen Sitz- und Fahrkomfort ohne Ende. Wer also regelmäßig beispielsweise zwischen Hamburg und Köln pendelt, dem sei dieser Burgman unbedingt empfohlen. Wind- und Wetterschutz sind zufrieden stellend, aber weit vom Optimum entfernt.

Äußerst gewöhnungsbedürftig sind die an der Verkleidung statt am Lenker angebrachten Rückspiegel. Wer aber gerne bei flotter Fahrt die Bremshebel und seine Hände im Spiegel beobachtet, wird auch hieran Gefallen finden. Da man aber auch noch reichlich vom rückwärtigen Verkehr mitbekommt, allemal besser, als die eigenen Ellbogen, die der leidgeprüfte Fahrer eines Rollers mit zu kurzen Spiegelauslegern als einziges zu sehen bekommt (Hallo Hexagon-Fahrer!).

Der Power-Mode verleiht dem Roller nochmals 1000 Umdrehungen mehr. Bei der Beschleunigung ist das ein subjektiv kaum zu merkender Zugewinn. Die tausend Umdrehungen plus machen wohl mehr Sinn beim Bergsteigen. Doch meine Testfahrt trug mich nicht bis in die Alpen, sodass ich ein Urteil hierüber offen lassen möchte. Wie der Power-Mode lässt sich die Halbautomatik während der Fahrt nahezu ruckfrei zu- und abschalten. Auch Gas wegnehmen ist während des Schaltens nicht erforderlich. Im Stillstand schaltet der Roller zudem in den ersten Gang runter. Bei soviel Feuer, wie der AN 650 hat, stellt sich mir die ganz grundsätzliche Frage nach dem Sinn der Tiptronic. Wer ein verhinderter Motorradfahrer ist, mag seine Freude an diesem zusätzlichen Feature haben, wahrscheinlich auch derjenige, der gerne individuell den Verbrauch seines Rollers (nach oben) beeinflusst. Nach ein bisschen Hin- und Herklicken wähle ich wieder die Automatik. Wenn ich Motorrad fahren wollte, würde ich mich auf ein richtiges Motorrad setzen. Apropos Motorrad: Durch den Zweizylinder quittiert der große Suzuki das Zudrehen des Gasgriffs durch kräftiges in die Knie gehen. Gewöhnungssache sicherlich, aber mit gefällt die Gutmütigkeit meines Eintopfes besser.

Fazit: Der Suzuki AN 650 ist ein Fahrzeug, dass in einigen Merkmalen durchaus noch an einen Motorroller im ursprünglichen Sinne erinnert. Wer tiefe Befriedigung nur dann erfährt, wenn er stets das Neueste und Teuerste hat, dem sei dieser Roller empfohlen. Statt immer schnellere und stärkere Fahrzeuge zu bauen sei den Herstellern aber eher empfohlen, die existierenden Modelle erst einmal zu verbessern! So lässt auch der dicke Suzuki ABS vermissen. Warum? Braucht man das nicht bei 180 auf der Autobahn? Kurzum: Den AN 650 kann man haben (Wer sollte einen hindern? Ach ja, die Bank...), aber man muss ihn nicht haben.
Lothar Schiefer

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